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Sailormoon - Ein Engel ging vorbei

in Anime Fan Fiction 12.03.2003 22:52
von Susasami • Admin - Das Hausekel ;) | 2.476 Beiträge

Also, die Charaktere gehören nicht mir, sondern Naoko Takeuchi, und zwar ausnahmslos, wenn ich mich recht entsinne. Gut, die Kellnerin im Eiscafé gehört mir. Die Story auch. Das Gedicht am Ende auch. Das Böse auch, aber das Böse ist ja ohnehin in meiner Hand.. Nyanyanya... Hehehe...

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Ein Engel ging vorbei

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Schreiend fuhr Bunny in ihrem Bett auf. Sie benötigte einige Zeit, um zu
erkennen, wo sie war. Langsam beruhigte sich ihr rasch gehender Atem und ihr
Puls nahm normale Werte an. Sie sah in der Dunkelheit umher und hatte plötzlich
Angst, daß hier irgendein Monster sein könnte, ein Monster, daß aus dem Schatten
spränge und sie angriff.
Dann aber schüttelte sie lächelnd den Kopf. "Dummes Kind", schalt sie sich
selbst. "Es gibt keine Monster."
Beruhigt kuschelte sie sich wieder in die Kissen und schlief kurz darauf wieder
ein.
Ihr Schlaf war tief und traumlos, und als sie am nächsten Morgen aufwachte,
schien alles wieder in Ordnung zu sein. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und
ihre schwarze Katze mit dem kahlen, halbmondförmigen Fleck auf der Stirn, die
den Namen "Luna" trug, sprang bereits früh auf ihr Bett und weckte ihre
Besitzerin dadurch.
"Morgen Luna", sagte Bunny verschlafen und gähnte. Luna miaute und zog dem
blonden Mädchen die Decke mit ihren Zähnen weg. "Hey, gib mir meine Decke
zurück!"
Mit einem Satz war Bunny auf den Beinen und jagte ihrer Katze hinterher, die,
ungewöhnlich für ein solch kleines Wesen, die schwere Decke hinter sich herzog
und erst halt machte, als sie sich in eine Ecke des Zimmers gedrängt wiederfand.
Sie ließ die Decke los, richtete sich etwas auf und miaute ein weiteres Mal.
Bunny lachte und hob die Decke auf. Sie faltete sie etwas unordentlich zusammen
und warf sie auf ihr Bett. "Hast du Hunger, Luna? Komm, laß uns sehen, ob Mama
etwas zu essen gemacht hat."
Luna miaute begeistert, sprang an Bunny hoch und ließ sich auf ihrer Schulter
nieder. Bunny strich ihr über das seidige Fell.
"Weißt du, Luna, manchmal glaube ich, du verstehst mich genau." Bunny seufzte.
"Wär das schön, wenn meine Katze reden könnte. Aber so etwas geht ja leider nur
im Fernsehen."
Die Antwort war ein leises Schnurren.

Luna sprang über die Dächer Tokyos. Sie kannte sich hier oben genau aus; sie
konnte mit Stolz sagen, daß sie jedes Haus allein an seiner Dachstruktur
erkennen konnte, was aber auch nicht verwunderte, da sie sich in letzter Zeit
immer häufiger hier oben aufhielt.
Wenn sie auf den Dächern saß und der Sonne zusah, den Wind in ihrem Fell spürte
und die Vögel beim Fliegen beobachtete, konnte sie alles vergessen, was gewesen
war. All die grauenvollen Dinge, die geschehen waren.
Sie sah sich kurz um. Hier irgendwo mußte Artemis sein. Sie wußte, daß er hier
auf sie wartete. Er wartete immer hier auf sie. Aber er liebte es, sich zu
verstecken und sie dann zu erschrecken. Dies war eine seiner
Lieblingsbeschäftigungen geworden, seit er nicht mehr mit seiner Besitzerin
sprechen durfte.
Mit wachen Augen suchte Luna nach Artemis. Diesmal würde sie sich nicht
erschrecken lassen. Diesmal nicht.
"Uaaaaahhh!!!"
Mit einem gewaltigen Urschrei stürzte sich Artemis, der sich in der Krone eines
Baumes versteckt gehalten hatte, auf Luna. Diese kreischte entsetzt auf und
sprang zur Seite.
"ARTEMIS!!! Du kleine verdammte Doofkatze!" fuhr sie den weißen Kater an, der
sich inzwischen scheckig lachte.
"Schöner Tag, nicht?" fragte Artemis mit einem unschuldigen Lächeln.
Luna knurrte irgend etwas. "Ja, bis du aufgetaucht bist, war er schön."
"Ach komm." Artemis kam näher an Luna heran. "Das meinst du nicht so, wie du es
sagst."
Luna errötete und wich zurück. "Bunny hat heute nacht wieder schlecht
geschlafen", stotterte sie, um vom Thema abzulenken. "Ich glaube, sie hat
Visionen oder so etwas."
"Ja, von einer riesigen Schokoladentorte, von der sie Bauchschmerzen bekommen
hat."
"Ich mein's ernst", fauchte Luna. "Ich vermute, daß sie sich an ihr anderes Ich
zu erinnern beginnt."
Artemis wedelte eine Zeitlang schweigend mit dem Schwanz, wie immer, wenn er
nachdachte. "Wäre das so schlimm?" fragte er schließlich. "Es wäre nicht übel,
wenn sie sich erinnert. Sie könnte die Erde wieder beschützen, und das wäre doch
ganz in unserem Sinne."
Luna kratzte sich mit der Pfote am Hinterkopf. "Ja, schon. Aber sie wollte
nichts als ein ganz normales Mädchen sein. Das war ihr letzter Wunsch, bevor sie
starb."
"Das war schon immer ihr Wunsch gewesen, nicht nur bei diesem Tod. Auch davor,
nach Beryll, war es ihr Wunsch gewesen. Es war ihr Wunsch gewesen, als sie das
Phantom der Nacht besiegt hatte, nach ihrem Kampf gegen Pharao, und sie wollte
auch friedlich leben, als sie Galaxia zum Guten bekehrt hatte", zählte Artemis
auf. "Es ist nichts Neues. Und es ist ihr auch nicht zu verdenken."
Luna blickte zu den Eichhörnchen herüber, die über den Baum wuselten. "Wie geht
es Minako?"
"Gut", antwortete der weiße Kater. "Sie ist fröhlich, so wie immer. Sie baut
viel Mist, aber es geht ihr wirklich gut. Nur manchmal..."
"Manchmal was?"
"Manchmal hat sie einen wehmütigen Blick. Abends, wenn sie am Fenster steht und
den Mond beobachtet. Als würde ihr etwas fehlen, als hätte sie etwas verloren,
von dem sie nicht einmal wußte, daß sie es je besessen hatte, aber der Schmerz
nimmt sie mit."
"Du glaubst, irgendwo in ihrem Gedächtnis ist noch eine Erinnerung verankert?"
Luna ließ ihren Blick über den blauen Himmel schweifen. "Das wäre ganz das, was
ich von ihr erwartet hätte."
"Von Minako?"
"Nein, von Königin Serenity. Sie würde es nicht zulassen, daß die Krieger ihre
Aufgabe vergessen. Ich glaube, daß es ihr nicht leicht gefallen ist, den Mädchen
ein Leben als wirkliche, normale, glückliche Mädchen zu verweigern, aber sie tat
es sicherlich, um die Erde zu schützen", gab die schwarze Katze ihm zur
Antwort.
"Sag, was glaubst du, werden sie sich eines Tages wieder erinnern?"
Luna antwortete nicht. Aber ihr Blick war Antwort genug. Ihre Augen spiegelten
die Wahrheit wieder, die Zukunft und das Schicksal der Kriegerinnen waren in
ihnen fest verankert.
Die Antwort war ja.

Bunny irrte ziellos durch die Straßen. Es war eine leise Stimme gewesen, die ihr
bedeutet hatte, das Haus zu verlassen und in die Stadt zu gehen. Ohne zu wissen,
woher die Stimme kam, woher sie sie kannte, warum sie ihr so vertraut und
tröstend erschien, folgte sie dem Ruf.
Sie war ganz in ihren Gedanken versunken, nicht so sehr, warum sie hier durch
die Stadt lief, sondern was dieser Traum zu bedeuten hatte, der ihr tief im
Gedächtnis verankert war. Sie konnte ihn nicht vergessen.
War es ihre eigene Vergangenheit oder ihre eigene Zukunft? War es ihr Schicksal
oder einfach nur ein Traumbild? Wer waren die acht Personen? Warum schützten sie
sie mit ihrem eigenen Leben?
Plötzlich blieb sie stehen. Es war die Stimme gewesen, die es ihr befohlen
hatte, sanft, zärtlich, aber doch bestimmt. Bunny sah auf. Sie stand vor einem
Brautmodengeschäft. Etwas verwirrt betrachtete sie die Auslagen.
Dann leuchteten ihre Augen auf. Sie liebte Brautkleider! Und diese hier waren
besonders schön!
"Ein Traum", seufzte sie hingerissen von der Pracht in Weiß. Oh, eines Tages
würde sie in einem solchen Kleid vor dem Altar stehen und ihrem Märchenprinzen
das Jawort geben. Eines Tages würde sie der Traum sein, den sie schon seit ihrer
Kindheit träumte.
Sie nahm wahr, daß eine Person mit langen Haaren neben sie getreten war,
kümmerte sich aber nicht weiter um sie. Erst als diese Person sie ansprach,
betrachtete sie sie eingehend. Sie kam ihr bekannt vor, aber sie wußte nicht,
woher.
"Gefallen dir die Kleider?" fragte die Frau noch einmal.
Bunny nickte eifrig. "Sie sind wundervoll. Ich liebe sie. Ich wünschte, ich
könnte auch eines Tages ein solches Kleid tragen."
"Oh, das wirst du sicherlich", erwiderte die Frau schmunzelnd. Ihr dunkelgrünes
Haar funkelte im Sonnenlicht, und ihre dunklen Augen musterten Bunny
abschätzend. "Es würde dir sehr gut stehen. Du hast genau die richtige Figur
dafür." Sie suchte in der Tasche ihres Blazers nach einer Visitenkarte. Als sie
sie gefunden hatte, reichte sie sie dem blonden Mädchen. "Hier. Äh..."
"Bunny Tsukino."
"Bunny. Komm doch nächsten Freitag vorbei, sagen wir um 16 Uhr? Ich würde mich
freuen, wenn du mir Modell stehen würdest."
Mit diesen Worten verschwand die große Frau in dem Brautmodengeschäft und ließ
eine etwas verwirrte Bunny zurück. Erst als sich die Tür mit einem leisen
Klingeln schloß, erwachte Bunny aus ihrer Abwesenheit.
Sie studierte die Visitenkarte. "Setsuna Meiô", las sie laut. "Designerin." Sie
runzelte die Stirn. "Setsuna", wiederholte sie noch einmal nachdenklich. Der
Name kam ihr bekannt vor. Nur... woher?

Setsuna stand am Fenster ihrer kleinen Wohnung in einem Hochhaus mitten in
Tokyo. Sie hatte die Arme verschränkt und auf das Fensterbrett gestützt. Mit
ernstem Gesicht blickte sie aus dem Fenster, direkt in die glutrote Abendsonne
hinein. Sie hatte schon lange das Gefühl gehabt, daß es noch eine andere
Wahrheit gab, daß das Leben, das sie führte, nicht das war, was sie führen
sollte.
Sie hatte immer wieder geträumt, von einem gleißenden Licht, von einem Schmerz,
der ihren Körper durchzuckte, von einem anderen hellen Licht, das im Gegensatz
zu dem ersten aber warm und tröstend war, hatte geträumt von einem goldhaarigen
Mädchen, das unter Einsatz seiner letzten Kräfte das Böse besiegte und deshalb
starb.
Sie hatte nie gewußt, was diese Träume bedeuten sollten. Auch ein Traumdeuter
hatte ihr nicht helfen können. Sie hatte nie gewußt, warum sie, warum
ausgerechnet sie diese Träume träumte.
Bis heute.
Sie war nicht der Typ, der einfach wildfremde Leute auf der Straße ansprach.
Aber dieses Mädchen war eine Ausnahme gewesen.
Es war ihr vorgekommen, als hätte sie sie schon ewig gekannt. Vielleicht tat sie
das auch.
Als sie dieses Mädchen dort hatte stehen sehen, mit glänzenden Augen, ihr
goldenes Haar funkelte im Licht, da hatte sie gewußt, daß es das Mädchen aus
ihrem Träumen gewesen war.
Es war eine schmerzliche Erkenntnis gewesen, die ihr einen Stich ins Herz
versetzt und ihr die Kehle zugeschnürt hatte, aber gleichzeitig hatte sie eine
nie zuvor gefühlte Emotion gänzlich erfüllt; ein Ruck war durch ihren Körper
gegangen und hatte sie wie von Geisterhand zu diesem Mädchen geführt, hatte sie
gezwungen, das Mädchen anzusprechen und einzuladen.
Sie wußte nicht, ob dieses Mädchen ihr den Traum erklären konnte. Sie mußte
einfach darauf hoffen.
All ihre Hoffnung, all ihr Vertrauen schenkte sie diesem ihr unbekannten
Mädchen. Aber sie wußte, daß sie ihr nicht unbekannt war. Ja, sie kannte dieses
Mädchen, obwohl ihr Wissen über sie gerade mal ihren Namen umfaßte.
Sie war eine Königin, und sie selber war eine Kriegerin. Die Kriegerin im
Dienste der Königin. Sie wußte nicht, woher sie die Gewißheit nahm. Sie wußte
nur, daß es so war.
Und sie wußte auch, daß sie mehr für dieses unschuldige kleine Mädchen empfand,
als sie je für einen anderen Menschen würde empfinden können.
So etwas nannte man dann wohl Liebe.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Bunny blinzelte gegen das helle Licht der Sonne. Wieder dieser Alptraum. Aber
diesmal war etwas anders gewesen. Nicht nur, daß sie nicht schreiend aufgewacht
war, als die acht Personen starben, nein, diesmal hatte sie wenigstens
ansatzweise das Gesicht einer der Personen erkennen können.
Es war die große Person mit dem langen Haar gewesen, zu deren Füßen ein achtlos
hingeworfener Stab lag, eine Art Zepter. Sie hatte sich für einen kurzen Moment
zu ihr umgedreht, und Bunny hatte für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht
der Person sehen können, die dunklen Augen, das fein geschnittene Gesicht, die
markanten Backenknochen, das gesamte Gesicht erstrahlte in einem Licht vor ihr,
dessen Glanz den der Sterne übertraf.
In diesem Moment hatte Bunny erkannt, daß es sich bei dieser Person um eine Frau
handelte.
Aber dann hatte sich die Frau wieder weggedreht, hatte ihre Kraft auf das
schwarze Licht gerichtet. Ein dunkelroter Schein hatte sich um ihren Körper
gebildet, hatte ihren Körper erstrahlen lassen, strebte auf das Licht zu, konnte
die Zerstörung aber nicht aufhalten.
Und als sie starb, war kein Haß auf ihren Gesichtszügen, keine Wut, aber auch
keine Furcht, keine Trauer, nur ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Bunny schüttelte den Kopf, um den Traum aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie
wußte, daß sie es auf diese Weise nicht schaffen würde, aber allein die
Vorstellung, daß es klappen könnte, beruhigte sie etwas. Entschlossen hopste sie
aus dem Bett und stolperte dabei über ihre Pantoffeln. Der Länge nach flog sie
auf den Boden und landete mit dem Kopf haarscharf vor ihrem Schrank.
Vor Schreck konnte sie nicht einmal weinen. Statt dessen erhob sie sich
schweigend und zog sich an.
Luna hatte diese Szene mit wachsendem Erstaunen beobachtet. Bunny, ausgerechnet
die weinerliche Bunny, hatte sich so sehr in der Gewalt, daß sie nicht einmal
aufgeschrieen hatte, ausgerechnet ihre Bunny, die sonst so fröhlich war und von
deren kindlichen Charme jeder in ihren Bann gezogen wurde, besaß diesen so
ernsten und traurigen Gesichtsausdruck, der von mehr Lebenserfahrung zeugte, als
eine alte Frau sie hätte haben können?
Eine Stimme tief in ihr befahl ihr, ruhig zu bleiben und es als positive Wendung
in Bunnys Leben zu sehen, daß sie das Leben vielleicht etwas ernster als bisher
nähme. Aber gleichzeitig verspürte die schwarze Katze den unwiderstehlichen
Drang, mit Bunny zu sprechen und ihr diese Alpträume, die sie eindeutig hatte -
sie redete viel im Schlaf, so daß Luna diese Träume hautnah miterleben konnte -
zu erklären.
Sie unterdrückte das Verlangen und schnurrte um Bunnys Beine herum, um sie zu
trösten. Ihre einfache Freundlichkeit hatte Erfolg. Auf Bunnys Gesicht kehrte
das ewig vorhandene Lächeln zurück, das Lächeln, um das so viele sie beneideten.
Selbst wenn sie schlief, lächelte sie ein stilles, leises Lächeln, das wahre
Lächeln einer wahren Prinzessin.
"Komm, Luna, laß uns frühstücken gehen", schlug Bunny vor. "Und dann sehen wir,
was der Tag uns bringt."

Bunny klopfte nervös mit einem Geldstück auf die gläserne Theke der Eisdiele. Es
war einer der heißesten Tage dieses Jahres, und dementsprechend frequentiert war
auch dieses Café. Die Bedienung rannte von einem Tisch zum anderen und hatte
kaum einmal Zeit, das Tablett abzulegen, geschweige denn, die wartenden Gäste an
der Eistheke zu bedienen.
Das blonde Mädchen warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Jetzt wartete sie
bereits zehn Minuten. Am liebsten wäre sie schon längst gegangen, aber erstens
war das Eis aus diesem Café das beste von ganz Tokyo, und zweitens stand neben
ihr ein hochgewachsenes Mädchen, das sie um etwa einen Kopf überragte, mit
braunen Haaren, die sie mit einem grünen Band zusammengebunden hatte. Nicht, daß
dieses Mädchen irgendwie besonders gewesen wäre oder einen besonders schönen
Lippenstift aufgetragen hätte, von dem Bunny gerne gewußt hätte, wie er hieß,
nein, irgendwie schien es Bunny, als würde sie dieses Mädchen kennen.
Wieder klackerte ihr Geldstück auf das Glas, und endlich erschien eine
rothaarige Kellnerin, die sie freundlich anlächelte. "Bitte?"
Bunny räusperte sich. "Äh, ich hätte gerne eine Kugel Zitrone, eine Kirsche und
ein Nusseis."
"Nusseis ist aus", sagte die Kellnerin immer noch freundlich lächelnd.
"Wie, Nusseis ist aus?" fragte Bunny verwirrt.
"Es gibt kein Nusseis mehr", wiederholte die Kellnerin ruhig.
Jetzt mischte sich das braunhaarige Mädchen ein. "Was soll das heißen, es gibt
kein Nusseis mehr? Das kann doch nicht sein." Sie sah die Kellnerin mit ihren
grünen Augen durchdringend an, so daß diese einen Schritt zurückwich.
"Glauben Sie mir, es gibt wirklich kein Nusseis mehr", stotterte die rothaarige
Frau. "Wirklich nicht. Was glauben Sie, wie viele Leute heute schon Nusseis
gekauft haben?"
Das Mädchen ballte die Hand zur Faust. "Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie
enthalten uns das Nusseis vor."
"Ich hätte keinen Grund dazu", versuchte die Kellnerin sich zu verteidigen.
"Vielleicht wollen Sie es ja selber essen", kam die prompte Antwort.
Bunny lächelte verlegen. "Entschuldigung, darf ich mich hier noch mal so
menschlich einbringen? Dann hätte ich gerne einmal Zitrone, einmal Kirsche und
einmal Waldmeister."
"Sofort", beeilte die Frau sich zu sagen und kellte das Eis auf die Waffel. Sie
nahm das Geld entgegen und reichte Bunny das Eis.
Das Mädchen zu ihrer linken strich mit der Hand ihren Pony zurück. "Ohne mich.
Wenn es hier kein Nusseis gibt, will ich hier überhaupt kein Eis essen."
Bunny, die gerade in ihr Waldmeistereis vertieft war (im wahrsten Sinne des
Wortes übrigens), sah auf. "Glaubst du nicht, daß du damit übertreibst",
nuschelte sie. "Es gibt doch auch noch andere leckere Sorten."
"Na hör mal! Eine Eisdiele, die nicht mal Nusseis hat, ist ein einziger
Saftladen!"
"Ich könnte Ihnen einen Tomatensaft anbieten", meldete sich die Kellnerin
schüchtern.
Das Mädchen würdigte sie nicht einmal eines Blickes. "Außerdem schmeckt das
Erdbeereis hier sowieso nicht."
"Meine Mutter macht gutes Erdbeereis", sagte Bunny und biß in die Waffel.
Eine Augenbraue der Braunhaarigen zog sich in die Höhe. "Tatsächlich?" Sie
überlegte kurz und reichte Bunny dann die Hand. "Ich bin übrigens Makoto Kino."
"Bunny Tsukino." Ein klebriger Händedruck folgte.
Makoto lächelte. "Ich muß jetzt leider weg. Aber ich denke, wir werden uns
sicher noch einmal wiedersehen. Vielleicht ja nach den Ferien. Dann bin ich
nämlich auf deiner Schule."
"Woher weißt du, auf welcher Schule ich bin?"
"Du hast einen Button an deinem Shirt."
"Oh."
"Also, man sieht sich." Mit diesen Worten ging das braunhaarige Mädchen an Bunny
vorbei. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. "Schönes
goldenes Haar", murmelte sie und winkte Bunny zu. Dann verschwand sie um die
Ecke.

Makoto stand in ihrer kleinen Wohnung, die sie seit dem tragischen Tod ihrer
Eltern alleine bewohnte. Sie sortierte gerade die Pflanzen auf den Regalen neu,
als ihr Blick auf ein aufgeschlagenes Modejournal fiel. "Modefarbe weiß" stand
da. Darunter war eine Frau in einem schönen weißen Kleid abgebildet, schlicht,
aber dennoch von bezaubernder Schönheit.
Das Mädchen mit den katzenhaften Augen ließ die Pflanzen Pflanzen sein und sank
zu Boden. Sie zog die Knie an und legte den Kopf darauf. Diese Bunny Tsukino,
wieso war sie gerade davon überzeugt gewesen, Bunny Tsukino in diesem weißen
Kleid aus dem Journal zu sehen?
Weil sie sie schon einmal in einem weißen Kleid gesehen hatte.
Makoto atmete tief durch. Ja, sie hatte Bunny in einem weißen Kleid gesehen. In
ihren Träumen.
Seit dem Tag, an dem ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen
waren, hatte sie nie wieder so intensive Träume gehabt wie in den letzten
Wochen. Sie hatte so viel gesehen, immer anders, immer neu, aber eines verband
alle ihre Träume: Es war dunkel, sie war allein, und dann war ein Licht, dieses
Mädchen im weißen Kleid, diese sanfte Stimme, und zum Schluß kämpfte sie.
Manchmal sah sie Schemen anderer Personen an sich vorbei wirbeln, und sie war
sich sicher, daß auch diese gegen diese Dunkelheit, die alles umhüllte,
kämpften, doch gleichzeitig wußte sie, daß sie selbst ebenfalls wichtig war, daß
auch sie kämpfen mußte, daß es ihre Pflicht war, um diese Erde, diese ihre Welt
zu retten.
Und Bunny war das Mädchen im weißen Kleid. Sie war schön wie eine Prinzessin,
und Makoto glaubte inzwischen sogar, daß Bunny eine Prinzessin war, nein, nicht
nur, daß sie eine Prinzessin war, sie war die Prinzessin. Die Prinzessin des
Weißen Mondes.
Leise lachte Makoto auf. Was war der Weiße Mond? Gab es auch einen Schwarzen?
Doch dann verschlug es ihr den Atem. Schwarzer Mond. Ja, es gab einen Schwarzen
Mond. Sie wußte, daß es einen gab. Sie war sich dessen so sicher, sie konnte
nicht irren.
Und sie hatte gegen die Bewohner gekämpft.
Gekämpft? Immer wieder dieses Wort. Kämpfer. Krieger. Sie war ein Krieger?
Gewiß, sie kämpfte gerne, sie betrieb Kampfsport, sie liebte Karate, aber warum
sollte sie ein Krieger sein? Und warum sollte sie die ganze Erde verteidigen?
Diese Erde, die ihr so grausam in so früher Kindheit ihre Eltern genommen
hatte?
Makoto ballte die Hand zur Faust. Aber nach einiger Zeit öffnete sie ihre Hand
wieder. Sie konnte sich noch so oft einreden, daß sie diese Erde hassen würde,
im Endeffekt wußte sie genau, daß es nicht wahr war. Sie liebte diese Erde. Ja,
sie liebte sie. Bisher hatte sie nur nie gewußt, wieso. Jetzt wußte sie es.
Die Prinzessin, die zukünftige Königin, die Herrscherin über die Welt, sie
liebte die Erde. Und sie gab diese Liebe an jeden einzelnen Erdenbewohner
weiter. Wer seine Königin liebte, konnte sein Land nicht hassen.
Und wer seine Königin liebte, gab auch sein Leben für sie.
Dummerweise liebte sie ihre Königin. Dummerweise liebte sie Bunny, liebte sie
sie als Prinzessin, als Königin, als Erdenbewohnerin, liebte sie in der Sonne,
im Mond, in den Elementen, in den Tieren und Pflanzen, liebte sie in ihrer
Gesamtheit, in ihrem Wesen, das alles auf der Welt umfaßte.
Und seltsamerweise war sie sehr, sehr glücklich darüber. Liebe war eben doch das
größte Glück der Erde.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Gedankenverloren schlenderte Bunny die Straße hinab. Sie konnte sich nicht an
den Auslagen in den Schaufenstern erfreuen, wie sie es sonst immer getan hatte.
Nein, heute nicht. Sie dachte wieder über ihren Traum nach.
Sie hatte eine weitere Person erkennen können. Sie hatte das braune Haar
gesehen, die grünen Augen, das hart wirkende Gesicht, hatte das Mädchen erkennen
können, das da für sie starb.
Das Mädchen hatte sie angesehen, voller Mitgefühl und Mitleid, aber auch voller
Vertrauen auf sie. Sie hatte ihre ganze Kraft auf das schwarze Licht gerichtet.
Ein hellgrüner Schein hatte sich um sie gebildet, kurz bevor das Licht sie
verschlang.
Bunny hatte schreien wollen, aber es ging nicht. Sie konnte jetzt zwei Personen
erkennen, wußte, wer sie waren, und sie war sich sicher, daß sie auch die
übrigen sechs Personen bald würde identifizieren können. Aber sie wollte es
nicht.
Sie wußte mit erschreckender Sicherheit, daß das, was sie sah, nicht nur ein
Traum war, sondern daß es die Zukunft war, ihre eigene Zukunft, und sie wollte
nicht, daß irgend jemand litt, und schon gar nicht, daß irgend jemand für sie
starb. Sie wollte nicht, daß diese Menschen alle starben, nur weil sie sie
beschützt hatten. Und doch wußte sie, daß es eine unabwendbare Zukunft war.
Irgend jemand hatte mal gesagt, daß man seine Zukunft mit jedem Tag neu
bestimme. Aber wie konnte sie versuchen, diese Prophezeiung nicht wahr werden zu
lassen, wenn der Zufall - oder auch das Schicksal - sie mit den Frauen - Bunny
zweifelte nicht daran, daß es sich bei allen acht Personen um Frauen handelte -
zusammentreffen ließ, wenn sie diese acht Frauen kennenlernen mußte, wenn diese
sie kennenlernten und schließlich doch ihr Leben für sie gaben?
So in ihren Gedanken versunken ging Bunny über eine Kreuzung, daß sie nicht
bemerkte, daß die Ampel auf rot stand. Erst als plötzlich direkt neben ihr eine
Bremse kreischte, schreckte sie auf und blickte sich hektisch um.
Wie durch ein Wunder war sie ganz allein auf der Kreuzung, nur das Motorrad,
dessen Bremsen sie aus ihrer Abwesenheit geholt hatten, stand neben ihr. Der
Fahrer, der einen überwiegend weißen Motorradanzug und einen blauen Helm trug,
hatte dicht neben ihr gebremst und nur knapp einen Zusammenstoß verhindern
können.
Bunny war noch so verwirrt, daß sie nicht einmal etwas sagen konnte. Die Augen
des Fahrers musterten sie durch das hochgeklappte Visier des Helmes, und sie
hatte das Gefühl, diese Augen schon einmal gesehen zu haben.
Der Motorradfahrer zog seinen Helm ab und schüttelte den Kopf, um sein blondes
Haar aufzulockern. "Du solltest vorsichtiger sein", ermahnte er sie freundlich.
"Das war ganz schön knapp."
Bunny nickte, immer noch etwas abwesend. Woher kannte sie ihn nur? "Danke",
stammelte sie schließlich. "Es tut mir leid, daß ich nicht aufgepaßt habe."
"Ist schon gut." Ein leichtes Lächeln umspielte die schmalen Lippen des
Motorradfahrers. "Aber sag mal, wo willst du denn hin? Es ist eine einsame
Gegend hier, und garantiert nicht ein Ort, an dem ein so hübsches und junges
Mädchen wie du sich gerne aufhält."
Bunny sah sich um und riß erstaunt die Augen auf. Sie war doch tatsächlich in
einem der dünn besiedelsten Vororte Tokyos gelandet. "Eigentlich bin ich nur so
spazieren gegangen", erzählte sie und wunderte sich selber darüber. Warum
erzählte sie es ihm? Es ging ihn doch gar nichts an.
"Aber doch nicht hier, oder?"
"Nein, normalerweise nicht." Bunny lachte plötzlich auf. "Ehrlich gesagt, ich
war noch nie hier. Ich glaube, wenn ich Sie nicht getroffen hätte, wäre ich noch
bis China gelaufen."
Der Motorradfahrer lächelte. "Wohnst du im Zentrum von Tokyo? Wenn du willst,
kann ich dich dorthin fahren. Dann ist es nicht so anstrengend für dich zu
laufen."
Bunny zögerte. Eigentlich sollte sie ja nicht mit Fremden mitgehen, aber dieser
Mann wirkte auf eine so angenehme Art sympathisch und freundlich, daß sie jede
Angst verlor. "Gerne."
Der Mann hielt Bunny einen weiteren Helm hin. "Hier bitte."
Bunny zog den Helm auf und setzte sich hinter den blonden Mann auf das Motorrad.
Sie schlang die Arme um seine Taille. "Alles klar."
Der Fahrer nickte und fuhr los. "Wohin?"
Bunny nannte ihm die Adresse, und bereits nach einer Viertelstunde stand sie
wieder vor ihrer Wohnung. Der Fahrer ließ den Motor weiter laufen und nahm den
Helm zurück. Erst jetzt fiel Bunny auf, daß sie seinen Namen noch nicht einmal
kannte - und er den ihren nicht. "Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt",
sagte sie. "Ich bin Bunny Tsukino."
"Mein Name ist Haruka Tenô", erwiderte der Motorradfahrer und klappte das Visier
seines Helmes hoch. Wieder konnte Bunny die grauen Augen sehen, die ihr so
bekannt vorkamen.
Bunny lächelte und verbeugte sich leicht vor ihm. "Danke fürs Mitnehmen."
"Keine Ursache. Ich bin sicher, wir sehen uns wieder, Mondgesicht." Er winkte
mit der Hand und fuhr dann los. Bunny sah ihm hinterher.
"Haruka Tenô", murmelte sie noch einmal leise. Woher kannte sie den Namen nur?
Plötzlich riß sie die Augen auf. Es war, als würden sich in ihrem Kopf Szenen
eines Filmes abspielen. Und in diesem, diesem selben Moment erkannte sie, daß es
sich bei Haruka um eine Frau gehandelt hatte.
Mondgesicht... Mond... Gesicht... Mondgesicht...
Bunny schüttelte den Kopf, so daß ihre Haare heftig hin und her flogen. Es war
eine Erinnerung, aber sie wußte nicht, woran. Und vielleicht wollte sie sich
auch nicht wirklich erinnern. Weil sie befürchtete, daß diese Erinnerung mit
ihren Träumen, ihren Visionen von der Zukunft zusammenhängen könnte.

Haruka hatte ihr Motorrad an den Straßenrand gestellt und wanderte nun langsam
die Straße hinunter. Immer wieder rief sie sich das Gesicht, die Augen, das
Lächeln dieses Mädchens ins Gedächtnis. Sie hatte das Gefühl gehabt, sie schon
ewig zu kennen, obgleich sie wußte, daß sie sie nie zuvor gesehen hatte.
War es vielleicht das Mädchen aus ihren Träumen gewesen? Sie träumte oft von
goldenem Haar, von einem dunklen und einem hellen Licht, beide gleich stark,
doch während das dunkle Licht grausam war, kalt, brutal, wärmte das helle Licht
sie, tröstete sie und gab ihr Zuversicht. Sie träumte auch oft von blauen Augen,
blau wie der Himmel, aber sie war sich nicht sicher, ob es Bunnys Augen waren.
Sie hatte ihr in die Augen gesehen, hatte sie erforscht, aber noch immer war sie
sich nicht sicher. Bunnys Augen waren so wandelbar, sie konnten wie die eines
kleines Mädchen wirken, aber auch wie die einer erwachsenen Frau, das einzige,
was unverändert blieb, war die Klarheit in ihnen.
Aber wer war diese Bunny wirklich? Haruka hatte sie in ihren Träumen als
Prinzessin gesehen, als Königin und als Göttin des Mondes. War sie ein ganz
normales Mädchen oder war sie mehr? Sie hatte sie als Kriegerin gesehen, mit
einem Kristall in der Hand, sterbend, lebend, fröhlich, traurig, liebend,
hassend, sie hatte sie in allen Lebensformen und in allen toten Steinen gesehen,
aber was war ihre Urform? Oder hatte sie keine?
Sie war sicherlich etwas besonderes. Sie konnte einfach nicht nur ein ganz
normales Schulmädchen sein. Dazu leuchtete in ihren Augen ein zu mächtiger
Stern.
Haruka hatte es gespürt, hatte eine unbeschreibbare Zuneigung zu diesem Mädchen
empfunden, als sie ihr gegenüberstand, mit ihren blauen Augen, dem etwas
verwirrten Blick, dem goldenen Haar und dem strahlenden Lächeln.
Und noch etwas hatte sie gespürt: Ein anderes Ich in sich selbst. Ein Ich wie
das einer Kriegerin. Einer mächtigen Kriegerin, die ihre ganze Kraft, ihre ganze
Macht für ihre Königin einsetzen würde, wenn es nötig würde. Dieses Ich war im
selben Moment zum Leben erwacht, als sie Bunny gesehen hatte.
Ein junges Mädchen auf einem Fahrrad kam ihr entgegen, und Haruka sprang schnell
zur Seite, um nicht umgefahren zu werden. Kurze Zeit vergaß sie ihren
Gedankengang, der ihr auf eine unangenehme Weise auf der Seele lastete, ihr aber
gleichzeitig befreiend erschien. Dann aber, ganz plötzlich, fiel ein
Sonnenstrahl in ihr Gesicht, und als sie zum Himmel emporblickte, kehrten die
Erinnerungen zurück. Denn oben im Himmel sah sie wieder dieses Mädchen, Bunny.
Das goldene Haar, die blauen Augen, Haruka konnte es so deutlich erkennen, als
stünde sie direkt vor ihr. Das weiche Gesicht, die vollen Lippen, alles war so
nah, so klar erkennbar.
Haruka kniff die Augen zusammen. Wer war sie? Wer war Bunny? Was bedeutete sie
ihr?
Sie wußte es. Bunny war ihr Leben.

Bunny legte die Hand vor die Augen, um die immer stärker werdende Sonne etwas
abzuschirmen. Sie saß auf einer Bank im Park und beobachtete mit einem leichten
Lächeln auf den Lippen die Kinder, die auf dem Spielplatz Fangen spielten. Für
einen kurzen Moment wünschte sich Bunny, noch einmal so jung zu sein. Im selben
Augenblick jedoch mußte sie lachen. So alt war sie nun auch wieder nicht, daß
sie wehmütig an ihre verflossene Jugend zurückdenken mußte.
Sie streckte die Arme zum Himmel und räkelte sich. Es war ein so schöner Tag
heute. Eigentlich wie geschaffen, um sich mit irgendwelchen Freunden zu treffen.
Aber Naru war nicht in der Stadt. Sie war auf so einem Gentechnik-Seminar
irgendwo im Norden Japans. Gentechnik. Für Bunny ein Buch mit sieben Siegeln.
Bunny lehnte sich zurück. Eigentlich wartete sie auf nichts, aber doch hatte sie
das Gefühl, daß sie auf irgend etwas hier, genau hier warten mußte - oder daß
etwas hier auf sie wartete.
Plötzlich tauchte ein Mädchen in ungefähr demselben Alter wie sie vor ihr auf.
Sie hatte langes, hellblondes Haar und trug eine rote Haarschleife. Sie hüpfte
um Bunny und die Bank, auf der diese saß, herum und suchte scheinbar nach etwas
oder jemandem. Zwischendurch gab sie Kommentare wie "Irgendwo muß er doch sein"
und "Ja, wo isser denn?" von sich.
Bunny beobachtete mit leicht gerunzelter Stirn das Treiben des Mädchens mit den
blau-grauen Augen. Als diese nicht das fand, wonach sie suchte, ließ sie sich
mit einem Seufzen neben Bunny auf die Bank fallen.
"Hast du den göttlichen Typen gesehen?" fragte sie sie ohne Scheu.
"Wen?"
"Na, den Typen mit dem schulterlangen, hellbraunen Haar und den traumhaft", das
Gesicht des Mädchens nahm einen verzückten Ausdruck an, "schönen Augen?"
Bunny schüttelte verwirrt den Kopf. "Nein, der ist nicht hier vorbeigekommen."
"Schade." Das Mädchen streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. "Der wär
was für mich gewesen. Aber irgendwie scheinen die Männer vor mir wegzulaufen."
"Ach, das hat nur so den Anschein", beruhigte Bunny sie.
Das Mädchen lächelte. "Glaubst du? Nun gut. Aber", sie wedelte mit ihrem
Zeigefinger vor Bunnys Nase herum, "ich schwör's dir, so wahr ich hier stehe,
ich finde einen Freund! Denn Schönheit macht sinnlich!"
Bunny lachte verlegen und kratzte sich am Kopf. Das Mädchen hatte sich bei ihrem
letzten Ausruf zu ihr herübergebeugt, und auch wenn Bunny nicht an Platzangst
litt, so fühlte sie sich doch ein ganz klein wenig eingeengt, da sie jetzt an
die Lehne gequetscht da saß und darauf wartete, daß das Mädchen sich wieder
ordentlich hinsetzte. Sie tat ihr den Gefallen auch nach einiger Zeit, nur um
kurz darauf wieder aufzuspringen.
"Ich hab' mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Minako Aino, und ich will ein
großer Star werden." Sie reichte Bunny ihre Hand.
Bunny ergriff sie und schüttelte sie leicht. "Bunny Tsukino, außer Heirat kein
Zukunftswunsch", stellte sie sich vor. Sie machte in der letzten Zeit immer
wieder neue Bekanntschaften. Schon seltsam. Erst diese Setsuna, dann Makoto,
Haruka und jetzt Minako. Und irgendwie hatte sie das untrügliche Gefühl, daß sie
noch innerhalb dieser Woche vier weitere Frauen kennenlernen würde.
Die acht Krieger aus ihrem Traum.
Minako runzelte die Stirn und betrachtete Bunny argwöhnisch. "Worüber denkst du
nach?"
"Was?" Bunny schrak auf. "Ach, gar nichts."
Minako lächelte und wollte etwas sagen, als plötzlich ihr Blick wie magisch von
einem schwarzhaarigen Mann angezogen wurde, der durch den Park promenierte.
Fasziniert flüsterte sie: "Wahnsinn. Sieh dir den nur mal an. Sieht der nicht
einfach traumhaft aus?"
Bunny folgte dem verzückten Blick ihrer neuen Bekanntschaft und nickte
ergriffen. Der sah wirklich gut aus. Sie sprang auf. "Und? Folgen wir ihm?"
Die beiden Mädchen sahen sich an. Und als wären sie alte Freundinnen, nickten
sie gleichzeitig. "Ja!" riefen sie aus und machten sich auf den Weg, dem Jungen
heimlich nachzulaufen. "Keine ist auf die andere sauer, wenn sie ihn bekommt",
legten sie noch fest, dann begann ihre gemeinsame "Search for their love".

Lachend lehnte Bunny sich an die Tür ihres Hauses. Es war ein ereignisreicher
Tag gewesen. Sie hatten den Typen zwar nicht bekommen, keine von ihnen - er
hatte eine Freundin -, aber dennoch war es für Bunny einer der schönsten Tage in
ihrem Leben gewesen. Lange hatte sie nicht mehr soviel gelacht wie heute.
"Typisch", bemerkte Minako. "Entweder sie sind schwul oder sie haben eine
Freundin."
"Stimmt", pflichtete Bunny ihr bei. "Dabei war seine Freundin so 'ne häßliche
Schachtel."
"Wo die Liebe hinfällt", flötete Minako, "wächst kein Kraut mehr."
Bunny grinste über das ganze Gesicht. Minako hatte sie heute schon mit soviel
falsch zitierten Sprichwörtern überschüttet, daß sie bezweifelte, daß sie selber
je wieder ein Sprichwort würde richtig zitieren können.
"Na dann, wir sehen uns sicherlich wieder."
"Sicher. In unseren Träumen", versetzte Minako rätselhaft. Bunny blickte
verdattert drein, war aber zu perplex, um etwas zu erwidern. Als sie sich wieder
gefangen hatte, war Minako bereits mit einem kurzen Abschiedsgruß verschwunden.
In unseren Träumen? Wußte Minako etwas von Bunnys Träumen? Aber woher sollte sie
es wissen?
Nur zwei Dinge waren für Bunny jetzt klar. Zum einen war sie sich sicher, daß
Minako heute Nacht als eine der Kämpferinnen auftauchen würde. Zum anderen wußte
sie, daß sie und Minako ein Schicksal verband, das nicht nur eine Freundschaft
einschloß. Sie waren sich ähnlich, in irgendeiner Weise, und es kam Bunny vor,
als sei Minako ihre Schwester. Und genau so liebte sie sie. Wie eine Schwester.

Minako schob die Hände in die Jackentaschen und ging Richtung Heimat. Ihr Blick
wanderte zum Himmel empor, wo sich bereits die ersten Sterne zeigten - in einer
Großstadt wie Tokyo ein höchst seltener Anblick.
Wer war diese Bunny eigentlich? In ihren Augen hatte sie so viel gesehen, mehr,
als sie je in irgendwelchen Augen gesehen hatte. Mehr als in ihren eigenen
Augen, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, um sich zu schminken.
Es war so viel in ihnen: Eine fröhliche Vergangenheit, eine düstere
Vergangenheit, eine zweifelhafte Zukunft, eine Liebe, die noch nicht erwacht
war, eine Liebe, die bereits erwacht war, und dazwischen immer wieder das
Hoheitsvolle, aber doch so Menschenverbundene, das eine wahre, eine gute
Prinzessin auszeichnete.
Minako war sich sicher, daß Bunny eine Prinzessin war. Und sie wußte, daß ihr
Königreich nicht von dieser Welt war. Sie blieb stehen und betrachtete einige
Zeitlang den Himmel. Der Mond leuchtete wie eine Perle, sein weißer Schein
wirkte heute wärmer, heller und lebendiger als sonst.
Mondgöttin. Bunny war die Mondgöttin.
Minako schüttelte verwirrt den Kopf. Wie kam sie auf so etwas? Dieses ganz
normale Mädchen, im selben Alter wie sie, eine Göttin? Aber sie konnte den
Gedanken nicht verdrängen, er hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. Sie wußte,
daß es die Wahrheit sein mußte, daß sie es war.
Bunny war die Königin des Mondes.
Und wer war sie? Sie war nicht einfach nur eine Untergebene. Das konnte sie
nicht sein. Dazu hatte sie sich ihrer Königin zu verbunden gefühlt.
Persönliche Vertraute.
Immer wieder kehrten in ihren Gedanken diese Worte zurück. War sie wirklich die
persönliche Vertraute der Königin?
Sicher. Kriegerin.
Sie war eine Kriegerin. Welche?
Liebe. Sie war die Kriegerin der Liebe. Die Göttin der Schönheit, Venus. Ja, sie
war Venus.
Wer war sie wirklich? Sie hatte immer geglaubt, ein ganz normales Mädchen zu
sein. Aber war sie das nicht? War sie es doch, auch, vielleicht nicht, war sie
nur Kriegerin, war sie auch Kriegerin?
Minako stützte sich an einer Mauer ab und faßte sich mit der Hand an den Kopf.
Diese Gedanken quälten sie, bedrückten sie, ihr Kopf schien zu platzen.
Jede Faser ihres Körpers schrie nach Bunny. Sie verspürte den Wunsch,
umzukehren, zu Bunny zu gehen, vor ihr niederzuknien, vor ihr, ihrer Königin,
ihrer geliebten Prinzessin und Königin, Göttin und Erdenmädchen.
Doch sie tat es nicht. Gerade weil sie Bunny liebte.

Bunny wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Auf der einen Seite wollte sie ja
einschlafen, aber auf der anderen Seite wußte sie genau, daß dann ihr Alptraum
wiederkehren würde.
Vier Frauen hatte sie kennengelernt, und bei jeder hatte sie eine unglaublich
starke Aura gespürt. Sie waren nicht einfach nur Frauen. Sie waren mehr.
Bunny war sich sicher, daß diese Frauen die eine Hälfte der Personen aus ihrem
Traum waren. Wer bildete die andere Hälfte? Sie schätzte, daß es ebenfalls
Frauen waren, aber welche?
Oft hatte sie schon von verschiedenen Mädchen geträumt, die in ihren Träumen
ihre Freundinnen waren. Nie hatte sie die Namen erfahren, und nie hatte sie die
Gesichter genau gesehen. Sie hatte aber immer gewußt, daß sie wirklich ihre
Freundinnen waren und mit ihr durch dick und dünn gegangen wären. Aber jedesmal,
bevor sie sie nach ihren Namen fragen konnte, war sie aufgewacht.
Waren diese vier Frauen auch diese Freundinnen gewesen?
Bunny hatte oftmals das Gefühl, daß ihr Leben so, wie es jetzt war, nicht immer
schon gewesen war. Wenn sie an ihre Vergangenheit zurückdachte, hatte sie immer
wieder den Eindruck, als fehle ihr ein Teil ihrer Erinnerungen.
Erinnerungen an was?
Bunny rief sich die Gesichter und die Namen der vier Frauen, die sie
kennengelernt hatte, ins Gedächtnis.
Setsuna Meiô. Lange, grüne Haare, dunkle Augen, feine Gesichtszüge. Woher kannte
sie sie nur?
Makoto Kino. Lange, braune Haare, grüne Augen, hart wirkendes Gesicht. Warum kam
sie ihr so bekannt vor?
Haruka Tenô. Kurze, blonde Haare, graue Augen, scharf geschnittenes Gesicht. Wo
hatte sie sie zuvor schon einmal gesehen?
Minako Aino. Lange, blonde Haare, blau-graue Augen, ein ewig lachendes Gesicht.
Wann hatten sie sich schon einmal getroffen?
Bunny schüttelte den Kopf. Es war so sinnlos, darüber nachzudenken. Sie kam doch
eh' zu keinem Ergebnis. Vielleicht war es doch das Beste, zu schlafen. Wie sagte
ihre Mutter immer: "Schlaf' einmal drüber. Morgen sieht die Welt ganz anders
aus."
Bunny lächelte. Gute Ikuko. Sie sorgte sich sehr um ihre Tochter, aber konnte
sie überhaupt ahnen, was in dieser vor sich ging?
Nein, sie konnte es nicht. Selbst Bunny wußte doch nicht, was mit ihr los war.
Wie sollte es Ikuko da können?
Bunny drehte sich auf die Seite und vergrub ihren Kopf in dem blau-rot
gestreiften Kissen. Es roch frischgewaschen. Ein angenehmer, beruhigender
Geruch.
"Morgen", war ihr letzter Gedanke, "morgen sehen wir weiter." Dann schlief sie
ein.

Luna wachte schon früh auf, als ein kleiner Vogel auf Bunnys Fensterbrett
landete und zu piepen begann. Die schwarze Katze streckte sich und blickte dann
von ihrem Kissen, das neben Bunnys Bett lag, zu ihrer blonden Herrin hinauf.
Diese schlief noch tief und fest, und wie immer war ein leichtes Lächeln auf
ihren Lippen.
"Bunny", flüsterte Luna. "Ich wünschte, du könntest immer so lächeln."
Sie begann mit ihrer Morgenwäsche, um sich die Zeit zu vertreiben. Ja, sie
wünschte sich wirklich, Bunny immer so glücklich wie jetzt zu sehen. Aber es war
nun einmal Bunnys Schicksal, eine Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit und
gleichzeitig auch eine Prinzessin zu sein, und schon bald würde der Tag kommen,
an dem sie sich ihrem Schicksal stellen mußte.
Luna ließ ein leises Knurren hören, um ihren Unmut zu äußern. Auch wenn sie
wußte, daß es jemanden geben mußte, der die Welt vor dem Bösen beschützte,
fragte sie sich doch immer wieder, warum es Erdenmädchen sein mußten.
Nun gut, sie waren keine Erdenmädchen, sie waren schon vor der Zeit Kriegerinnen
gewesen, aber warum mußten sie auf der Erde wiedergeboren werden?
Luna konnte sich nicht vorstellen, daß irgendeine von den Kriegerinnen ihr
jetziges Leben als Erdenmenschen für das einer Kriegerin aufgeben würde, wenn es
nicht sein müßte. Aber warum hatte man sie vor die Wahl gestellt, die nicht
einmal eine war? Warum hatte Serenity die Kriegerinnen nicht einfach als solche
wiederbeleben können? Warum mußten sie ein normales Leben erhalten, das sie dann
wieder aufgeben mußten?
Luna schüttelte den Kopf. Bei allem Respekt, den sie der Königin Serenity
zollte, diese Entscheidung ging über ihren Verstand. Aber sie war ja nur eine
dumme Katze. Vielleicht konnte sie es nicht verstehen, weil sie nicht die
Intelligenz und die Weitsichtigkeit der Königin besaß.
Luna warf einen kurzen Blick zu Bunny hinauf. War sie schon wach? Nein, sie
schlief immer noch und schnarchte dabei leise. Die Katze nickte zufrieden und
sprang dann auf das Fensterbrett.
Geschickt öffnete sie mit ihren Pfoten den Schließmechanismus des Fensters und
kletterte aus Bunnys Zimmer, leise, um diese nicht zu wecken. Sie sollte ruhig
noch ein wenig schlafen. Sie sah so glücklich aus, wenn sie schlief, als sei es
das einzige, was ihr noch Freude bereitete.
Sie selber würde Artemis suchen. Vielleicht würde sie auch den anderen
Kriegerinnen begegnen, wer wußte das schon. Das Leben war dem zufälligen
Schicksal unterworfen.

Wieder saß Bunny im Park. Sie wollte sich wieder in die Sonne setzen, um
nachzudenken.
Wie nicht anders erwartet, hatte sie in ihrem Traum vier Personen erkennen
können. Die grünhaarige Frau, das braunhaarige Mädchen, eine blonde Frau mit
einem Schwert und ein blondes Mädchen, deren blau-graue Augen zum Zeitpunkt
ihres Todes nichts von ihrer Fröhlichkeit eingebüßt hatten.
Es gab keinen Zweifel mehr. Es waren Setsuna, Makoto, Haruka und Minako.
Wen mochte sie noch alles treffen? Sie hatte fast Angst davor, neue
Bekanntschaften zu machen, denn in ihren Träumen starben diese Frauen. Wegen
Bunny. Weil sie Bunny beschützen wollten.
Bunny stützte den Kopf in die Hände. Sie wollte nicht, daß überhaupt jemand
litt. Schon gar nicht wegen ihr.
Plötzlich riß eine leise Melodie sie aus ihren Gedanken. Es war eine zarte, süße
Geigenmelodie, die von einer kleinen Bühne mitten im Park zu ihr herüber
schwebte.
Die Melodie schien sie zu rufen. Bunny folgte dem Ruf und ging langsam, aber
zielstrebig auf die Bühne zu.
Dort stand eine junge Frau mit gewellten, grünen Haaren. Mit ernstem Gesicht
spielte sie auf ihrer Geige, eine eintönige, aber dennoch bezaubernde Melodie,
die dem Rauschen des Meeres glich.
Fasziniert blickte Bunny die ihr unbekannte Geigerin an - war sie ihr wirklich
so unbekannt?
Sie hatte das Gefühl, sie doch schon einmal irgendwo gesehen zu haben; nicht auf
einem Plakat oder auf einer CD, nein, sie hatte das Gefühl, sie zu kennen, mit
ihr schon einmal gesprochen zu haben.
War sie die fünfte Kriegerin?
Als die Geigerin bemerkte, daß sie jemand direkt ansah, unterbrach sie ihr
Geigespiel und setzte das Instrument ab. Erstaunt sah sie von ihrem erhöhten
Standpunkt aus auf das blonde Mädchen herab, das sie mit glänzenden Augen
anblickte. Sie lächelte leicht. "Kann ich dir helfen?"
Bunny schrak auf. Sie war so in ihren Gedanken versunken gewesen, daß sie gar
nicht damit gerechnet hatte, angesprochen zu werden. "Nein, ich... ich bewundere
nur, wie Sie spielen."
Das Lächeln vertiefte sich. "Danke sehr. Es freut mich, daß es dir gefällt."
Bunny lächelte ebenfalls und nickte. "Oh ja. Es gefällt mir wirklich sehr. Sind
Sie oft hier?"
"Nein. Normalerweise spiele ich nicht auf öffentlichen Plätzen. Aber heute...",
das Gesicht der Frau nahm einen seltsam entrückten Ausdruck an, "heute hatte ich
das Gefühl, als würde mich jemand rufen. Als würde mir jemand befehlen, in den
Park zu gehen und dort zu spielen."
Verwirrt zog Bunny die Augenbrauen zusammen. Als die Frau dies sah, lachte sie
auf.
"Oh, entschuldige. Es klingt wirklich absurd, ich weiß. Aber ich hatte nun
einmal das Gefühl, daß wirklich jemand mit mir spräche." Sie legte ihre Geige in
den auf dem Boden liegenden Kasten und sprang von der Bühne herunter. Sie
reichte Bunny die Hand.
"Mein Name ist Michiru Kaiô. Freut mich, dich kennenzulernen."
Etwas in Bunny sagte ihr, die Hand auszuschlagen, wegzulaufen, Michiru nicht
näher kennenzulernen. Aber war das nicht schrecklich unhöflich? "Ich bin Bunny
Tsukino." Ein Händedruck besiegelte das Schicksal der beiden Kriegerinnen in
spe.
"Bunny Tsukino, hm? Aber nicht verwandt mit Kenji Tsukino, oder?"
"Doch, das ist mein Vater", erwiderte Bunny.
"Ach so! Ich habe ihn zufällig kennengelernt. Bei meinem letzten Konzert. Er hat
darüber in der Tageszeitung berichtet, glaube ich. Ein sehr netter Mann."
Bunny riß die Augen auf. "Sie geben Konzerte, zu denen mein Vater Artikel
schreibt?"
Michiru nickte. "Von irgend etwas muß ich schließlich auch leben, oder?" Sie
lachte. "Ich meine, ich habe keinen reichen Ehemann oder so."
"Ich will mal 'nen tollen Mann haben", begann Bunny zu schwärmen. "Reich kann
der auch gerne sein."
Michiru betrachtete Bunny lächelnd. "Glaube mir, du wirst deinen Traumprinzen
sicherlich bekommen."
"Haben Sie schon Ihren Traumprinzen gefunden?" fragte Bunny nicht ohne Neugier.
Vielleicht konnte sie von dieser wirklich sehr hübschen Frau einige Tips
bekommen - man sollte schließlich früh genug damit anfangen, den geeigneten Mann
zu finden, das hatte Minako gestern zumindest gesagt. "Haben Sie schon den
Richtigen getroffen?"
Michiru aber zuckte mit den Schultern. "Wer weiß. Vielleicht habe ich immer die
Richtigen getroffen. Aber bisher war es nie so, daß ich mir gesagt hätte, der
ist es und kein anderer. Vielleicht gibt es für mich nicht den einzig wahren
Mann. Ich muß sehen, was die Zukunft mir bringt."
Bunny nickte zustimmend. Das war ein wahres Wort. Man mußte sehen, was die
Zukunft einem brachte. Vielleicht sollte sie ihre Gedanken rund um ihre Träume
einfach beiseite schieben, auch wenn es sicherlich schwer war. Aber warum sollte
sie sich jetzt damit belasten? Es war ein Traum, allenfalls würde es in der
Zukunft passieren. Wer wußte schon, wann genau? Vielleicht erst in zehn Jahren,
und bis dahin konnte sich so vieles ändern.
Sie bemerkte, daß Michiru etwas ungeduldig auf die Uhr sah und verbeugte sich
leicht. "Es war nett, mit Ihnen zu reden, aber ich stelle fest, daß Sie in
Zeitdruck sind, nicht wahr?"
Michiru lächelte entschuldigend und nickte. "Ja, ich habe einen Termin beim
Arzt. Aber vielleicht kommst du zu meinem nächsten Konzert, dann können wir ja
weiter reden." Sie drückte Bunny noch einen Werbezettel in die Hand, klappte
dann ihren Geigenkoffer zu, schloß die Schnallen und ging schnellen Schrittes,
den Koffer in der Hand, aus dem Park.
Bunny sah ihr hinterher. Das hellblaue Kleid der Frau flatterte im Windzug, und
ein leichter, grünlicher Schimmer bildete sich um den Körper der Frau. Dann
entschwand sie Bunnys Blicken, als sie um die Ecke bog.

Michiru saß im Wartezimmer ihres Frauenarztes. Sie hielt eines der Hefte, die
auf einem kleinen Tisch auslagen, in der Hand und starrte unabläßlich auf eine
willkürlich aufgeschlagene Seite, aber sie las nicht. Ihre Gedanken kreisten
rund um dieses Mädchen, um diese Bunny Tsukino.
Oh ja, es war ihre Stimme gewesen, die sie gerufen hatte, die sie in den Park
befohlen hatte, sanft, es war ihre Stimme gewesen, die sie schon viel früher in
ihren Träumen gehört hatte, die sie bei ihrem Namen gerufen hatte. Sie hatte
schon so oft solche Träume gehabt, doch in den letzten Tagen waren sie immer
deutlicher, immer eindringlicher, intensiver geworden.
Es war alles so dunkel, und dann ertönte diese Stimme, diese süße, tröstende
Stimme, und sie rief ihren Namen. So oft hatte sie sich umgesehen, um sich zu
vergewissern, daß diese Stimme nicht sie, sondern eine andere Person ihres
Namens meinte, doch jedes Mal hatte die Stimme gelacht und ihr gesagt, daß sie,
und nur sie gemeint sei. Doch nie hatte sie die Eigentümerin der Stimme gesehen,
hatte ihr nie nahe kommen können.
Warum? Warum konnte sie nie in ihre Nähe gelangen? Sie mußte etwas besonderes
sein, von hohem Range, von königlicher Abstammung, daß sie, Element des niederen
Volkes, nur ehrfürchtig vor ihr niederknien konnte.
Und noch eine Frage geisterte in ihrem Kopf herum? Wer war sie selbst? Was für
eine Rolle spielte sie im Leben dieses Mädchens, dieser... dieser Prinzessin?
Dieser zukünftigen Königin über die Welt?
Erschrocken sah Michiru auf. Königin über die Welt? Das war absurd, unmöglich!
Wie konnte eine einzige Frau die ganze Welt beherrschen?
Vom Mond aus.
Die grünhaarige Frau zog die Augenbrauen zusammen. Vom Mond aus? Was für ein
amüsanter Gedanke!
Aber doch, es schien für sie der Wahrheit zu entsprechen, eine Wahrheit, die aus
ihr heraus erwachsen war, die sie nicht erklären oder beweisen konnte. Ihr
Gefühl hatte sie selten betrogen, und noch nie war sie von etwas so überzeugt
gewesen wie von dieser Wahrheit.
Angenommen, Bunny war also eine Königin, welche Aufgabe war dann ihr zugeteilt?
In ihren Träumen schien es die einer Kriegerin zu sein, aber diese Vorstellung
erschien ihr als noch seltsamer als die einer Königin, die die Welt regiert. Sie
selbst, eine Kriegerin? In silberglänzender Rüstung, am besten noch auf einem
Pferd und mit einer eisernen Lanze in der Hand? Welch pikante Idee!
Aber dennoch, die Stimme hatte mit ihr gesprochen wie mit einer Kriegerin, die
in ihrem Dienste stand, sie hatte von einer Mission gesprochen, von dem Auftrag,
das Reich zu schützen.
Das Reich und seine Regentin? Wenn es nötig war, mit dem eigenen Leben?
Michiru lächelte. Ja, wenn es nötig war, auch mit dem eigenen Leben. Sie konnte
sich diese Gewißheit, die sie ihr eigenes Leben für ein junges Mädchen riskieren
ließ, nicht erklären. Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Erklärung dafür:
Liebe.

Bunny sieht verwirrt auf. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie scheint auf einer
großen Fläche zu sein, um sie herum sind Trümmer. Schemenhaft kann sie Personen
erkennen, die um sie herumstehen, acht an der Zahl, acht Personen, die sich in
einer Art magischem Ring um sie versammelt haben. Bunny trägt ein langes Kleid,
es scheint weiß zu sein, aber sie kann es nicht genau erkennen.
Die acht Personen versuchen, ein schwarzes Licht aufzuhalten, das unaufhaltsam
näher kommt. Sie weichen weiter zurück, schließen den Kreis enger um Bunny, aber
dann wird das Licht noch schwärzer, beginnt zu pulsieren, brüllt einen
grausamen, stummen Schrei, scheint sie zu verschlingen, erdolcht sie mit nicht
existierenden Messern, zermalmt sie mit unsichtbaren Kiefern und verbrennt sie
mit kaltem Feuer.
Kein Laut ist zu hören. Sie sterben alle stumm.
Und sie sterben, weil sie Bunny beschützen wollen.

Bunnys Atem ging stockend, als sie am nächsten Morgen erwachte. Sie richtete
sich in ihrem Bett auf und atmete heftig aus und ein. Ihre Hände krallten sich
um die Bettdecke, als wolle sie all ihre Verzweiflung in dieses Stück Stoff
projizieren. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
"Nein", flüsterte sie. "Nein, warum? Warum sie? Warum ich? Ich will nicht! Ich
will nicht, daß jemand wegen mir stirbt, ich will nicht, daß überhaupt jemand
stirbt!"
Sie schniefte kurz und wischte sich mit dem Ärmel ihres Schlafanzuges über die
Nase. Dann wandte sie ihren Blick nach links, auf die Decke neben ihrem Bett, wo
Luna zusammengerollt schlief. Unter den allmählich versiegenden Tränen brachte
sie ein Lächeln zustande. So süß, wenn sie so dalag, so süß.
Bunny seufzte auf. Was war eigentlich dieses dunkle Licht aus ihren Träumen?
Bedrohte es die Welt? Seltsam, daß sie sich bisher nicht danach gefragt hatte.
Seltsam, daß sie sich bisher nicht gefragt hatte, wen sie selbst eigentlich
darstellen sollte. Ein weißes Kleid. Eine Braut? Eine Prinzessin? Eine Königin?
Noch einmal wanderten ihre klaren, blauen Augen zu der schwarzen Katze. Wenn es
tatsächlich ihr Schicksal war, die Erde zu retten, dann sollte sie es allein
schon deshalb tun, um dieses kleine, unschuldige Wesen zu beschützen. Wieder
lächelte Bunny. Ja, für Luna würde sie vielleicht sogar ihr Leben riskieren. Und
wenn es nicht nur allein für Luna, sondern auch für ihre Eltern, für Shingo
wäre, für ihre Freundinnen aus der Schule, ja, selbst für Frau Haruna, dann war
ihr Leben, so wichtig es ihr selbst auch erschien, ein variabler Faktor, etwas,
das hingegeben werden konnte, um andere Leben zu retten.
Sie schniefte ein weiteres Mal und stand dann entschlossen auf. Die grünhaarige
Frau hatte sie angesehen, ja, sie hatte gelächelt. Sie hatte kaum merklich
gelächelt. Und im selben Moment, als sie gestorben war, hatte sie den Mund
geöffnet, nicht als ob sie hätte schreien wollen, nein, es schien Bunny, als
hätte die Frau ihr etwas sagen wollen - oder als hätte sie gesungen.
Erst jetzt bemerkte Bunny, daß ihr eine Melodie im Kopf umher ging. Eine süße,
tröstende Melodie.
War es das, was die Frau ihr hatte sagen wollen? Wollte sie sie trösten? Oder
hatte sie diese Melodie gesungen, im Augenblick ihres Todes, um ihr eine
Botschaft zu hinterlassen? War es überhaupt eine Botschaft? Oder hatte sie das
Lied an sich selbst gerichtet, um sich zu beruhigen? Um dem, was sie nun wohl
erwartete, gelassen entgegen zu gehen?
"Ich muß sehen, was die Zukunft mir bringt", hatte Michiru gesagt. Das war eine
bemerkenswerte Einstellung. Bunny wünschte sich, diese Einstellung mit der Frau
zu teilen. Doch dies erschien ihr sehr, sehr schwer.
Und wenn sie einfach versuchte, die Zukunft zu manipulieren? Wenn sie einfach zu
Hause blieb?
Auf dem Gesicht des goldhaarigen Mädchens breitete sich ein verschlagenes
Grinsen raus. Wer hatte einmal gesagt, man solle sein Schicksal nicht
herausfordern? Nun, genau das würde sie jetzt tun. Und dann mal gucken, was die
Zukunft bringt.

Leise stöhnte Bunny auf. An einem so schönen Tag sollte sie lernen? Es waren
doch Ferien! Aber ihre Mutter war standhaft geblieben: "Kind, deine Noten sind
zu schlecht. So kann das nicht bleiben. Ich habe dir eine Nachhilfe besorgt.
Hier ist ihre Adresse. Ich habe alles abgesprochen. Sie erwartet dich heute
Nachmittag um drei", hatte sie mit dem so typischen
Ich-dulde-keinen-Widerstand-Tonfall, der Ikuko so eigen war, gesagt.
So packte Bunny ein paar Bücher in ihren Rucksack - oder besser, sie warf sie
mißmutig und unachtsam hinein, nahm die Visitenkarte ihrer neuen Nachhilfe vom
Tisch und schnürte ihre Stiefel zu.
Als sie das Haus verließ, knallte sie die Tür zu. Sie brauchte den Lärm. Während
sie zur Bushaltestelle ging, warf sie einen Blick auf die Visitenkarte. Diese
Nachhilfelehrerin war garantiert eine uralte Oma. Zumindest klang ihr Name
ziemlich nach Altersheim. Und der Nachname ließ auf eine Nixe schließen. Bunny
gluckste. Wahrscheinlich hatte sie blaue Haare.

Sie hatte. Knallblau, um genau zu sein. Nur mit der anderen Annahme lag Bunny
falsch. Ami Mizuno war ungefähr in ihrem Alter. Als sie jetzt vor dem Mädchen
mit dem ernsten Gesichtsausdruck stand, wurde ihr auch klar, woher ihr der Name
so bekannt vorgekommen war. Ami war eine der landesbesten Schülerinnen
überhaupt, und in Tokyo war sie so ziemlich ungeschlagen. Immer erreichte sie
die Höchstpunktzahl, und nie sah man sie nachmittags in der Stadt. Zumindest
erzählte man sich das in jeder Schule. Die einzigen, die Amis Leistungen
ungeteilt bewunderten, waren wahrscheinlich die Lehrer.
Bunny rang sich ein Lächeln ab. "Ich bin Usagi Tsukino", stellte sie sich vor.
"Aber nenn mich Bunny."
Nicht einmal jetzt war der Hauch von Freundlichk


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